Ringvorlesung Forschung und Praxis in der Frühen Kindheit
Dr. Pascal Vrtička PhD
FHEA, Associate Professor (Senior Lecturer)
Centre for Brain Science, Department of Psychology
University of Essex
Die der Bindungstheorie zugrunde liegenden psychologischen und neurophysiologischen Prozesse werden bereits seit fast hundert Jahren wissenschaftlich untersucht. Innerhalb der letzten zehn Jahre ergaben sich daraus entscheidende Fortschritte in unserem Verständnis des menschlichen Bindungsverhaltens. In meinem Vortrag werde ich zunächst die Ursprünge der Bindungstheorie beschreiben und ihre beiden Haupttraditionen erläutern, die in der Entwicklungs- und Sozialpsychologie verwurzelt sind. Dabei werde ich auf die vielen verschiedenen Arten der Konzeptualisierung und Messung von Bindung eingehen und deren Gemeinsamkeiten und vor allem Unterschiede erklären, die leider sehr oft zu Verwirrung und Missverständnissen führen. Anschließend werde ich beschreiben, weshalb ein detailliertes Verständnis der dem menschlichen Bindungsverhalten zugrunde liegenden neurophysiologischen Prozesse so wichtig ist — weil letztere entscheidende zusätzliche und objektive Informationen liefert, die weit über Erkenntnisse aus Verhaltensbeobachtungen, Selbstberichten und Befragungen hinausgehen. Abschließend werde ich unser neuestes funktionelles neuroanatomisches Modell des menschlichen Bindungsverhaltens skizzieren und aufzeigen, dass alle Bindungsstile sinnvolle und notwendige Anpassungen an spezifische Umweltanforderungen darstellen. Wir sollten Bindungsstile daher nicht als grundsätzlich “gut” oder “schlecht” betrachten, sondern differenziert auf die vielen unterschiedlichen Resilienz- und Risikofaktoren eingehen, welche wir Dank der neusten Erkenntnisse aus den Sozialen Neurowissenschaften heutzutage viel besser verstehen.